Begrenzter CO2-Ausstoß betrifft auch Bausektor
Digitalisierung und serielle Fertigung für nachhaltiges Bauen
Von
Frank Talmon l´Armée
Vorstand
der SEMODU AG
Börsen-Zeitung, 16.10.2021
Hitzewellen, Dürren, Starkregen – der neue Weltklimabericht zeichnet kein gutes Bild von der Zukunft und menschliches Handeln ist schuld daran. Um die Temperaturerhöhung zu begrenzen, ist es nötig, den CO2-Ausstoß zu begrenzen. Hier sind verschiedene Sektoren gefragt, darunter auch die Bauindustrie. Immerhin verursachen Gebäude hierzulande 30 % der CO2-Emissionen und zählen damit zu den großen Treibhausgas-Emittenten.
Sollen die globale Erwärmung bekämpft und die Klimaziele erreicht werden, dann muss auch der Immobiliensektor seinen Teil dazu beitragen. Vor diesem Hintergrund hat die Landesregierung in Baden-Württemberg jüngst beschlossen, dass Fotovoltaikanlagen auf Hausdächern zur Pflicht werden sollen. Um jedoch in Zukunft von Grund auf nachhaltiger zu bauen, muss die gesamte Branche seriell fertigen und digitalisiert werden.
Wie schon vor 50 Jahren
Bislang sieht es jedoch auf Baustellen heute häufig noch aus wie vor 50 Jahren mit Eisenbiegern, Arbeitern die Mauern setzen, Betonmischern und Angestellten, die häufig weite Anfahrtswege zurücklegen. Das trifft auch auf den Planungsprozess zu. Alle Gebäude sind quasi ein Prototyp, da jedes Haus neu entworfen, geplant und gebaut wird und dabei üblicherweise immer neue Teams zusammenarbeiten. So geht einerseits viel Zeit verloren und andererseits findet kein Lernprozess statt, da immer wieder bei null angefangen werden muss.
Umbauten wegen Fehlern haben einen Anteil von 30 % an Konstruktionsarbeiten. Diese übliche Vorgehensweise ist damit zeit- und kostenintensiv und verschwendet viel zusätzliches Material und Energie, was den ökologischen Fußabdruck weiter verschlechtert. Zwar werden vereinzelt neue Technologien implementiert, doch von einem grundsätzlichen Wandel kann nicht gesprochen werden.
Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist das modulare Bauen. Raumzellen schlüsselfertig produzieren und auf der Baustelle verbauen, bedeutet einen hohen Vorfertigungsgrad und ermöglicht so an jedes Vorhaben mit der gleichen Projektmathematik heranzugehen. Das trifft auch auf die einzelnen Module zu. Dem immer gleichen ausgefeilten Prozess folgen, hilft Material zu sparen und gleichzeitig wird höchste Qualität erreicht. Die Einheiten vor Ort nur zu verbauen, spart Zeit, was wiederum Energie und Kosten senkt.
Prinzip „cradle to cradle“
Gleichzeitig erlaubt die modulare Bauweise das Prinzip „cradle to cradle“. Module werden von Beginn an so entworfen, dass die verbauten Materialien einfach zu extrahieren und zu recyceln sind. Dogma eines nachhaltigen Konzepts ist außerdem, möglichst wenig Material zu verwenden und Gebäude zu bauen, die im Laufe der Zeit für verschiedene Zwecke genutzt oder sogar „umgesiedelt“ werden können.
Falls sich beispielsweise die Umgebung und die sozialen Anforderungen ändern, kann man Kindergärten oder Büros einfach an einen neuen Standort verlegen. Teil der Methode ist auch die Verwendung von möglichst viel Holz in der Fertigung. Nicht nur ist Holz für den Bau besonders gut geeignet, da es tragfähig ist und große Zugkräfte aufnehmen kann, es hat zudem sehr gute Wärmedämmeigenschaften und speichert CO2.
Um die Vorteile des modularen Bauens jedoch optimal zu nutzen und möglichst viele nachhaltige Wohnungen zu bauen, braucht es die serielle Fertigung. Ähnlich wie in der regionalen Automobilwirtschaft auch müssen Projekte skaliert werden. In solch groß angelegten Fertigungsstraßen können für noch mehr Präzision und Qualität auch Roboter eingesetzt werden, da sie nicht jedes Mal neu aufgebaut werden müssen und weder Wind noch Wetter ausgesetzt sind. Mit der richtigen Programmierung können Roboter selbständig standardisierte und sich wiederholende Aufgaben erledigen.
Beispielsweise können Maschinen mit wesentlich höherer Präzision Wände in der immer gleichen Farbstärke streichen, wie auch in der Automobilindustrie Autos nicht mehr von Hand lackiert werden. So können in automatisierten Fertigungswerken hohe Stückzahlen unterschiedlichster Module gefertigt und kombiniert werden.
Damit der maximale Nutzen aus der Massenfertigung gezogen werden kann, braucht es jedoch einen
regulatorischen Wandel und eine Harmonisierung der Vorschriften. In den vergangenen Jahren vervierfachten sich die Bauschriften von 5 000 auf 20 000. Laut einer Studie des Bundesinstituts für Bau, Stadt und Raumforschung unterscheiden sich die 16 Landesbauverordnungen sogar so sehr, dass sich selbst die Formulierungen teils stark voneinander unterscheiden. Bei dieser Vereinheitlichung des Baurechts geht es nicht darum, hohe Sicherheitsstandards infrage zu stellen, sondern lediglich darum, dass die gleichen Anforderungen, die in Berlin gelten, auch in Stuttgart oder gar Paris und Brüssel angewendet werden. Für bezahlbare und nachhaltige Häuser müssen Bauherren länderübergreifend seriell bauen. Dafür ist es auch nötig, dass anstatt für jedes Gebäude eine Baugenehmigung beantragen zu müssen, diese für ganze
Serien gelten sollten. Das könnte dadurch unterstützt werden, dass man Systeme standardisiert und einheitliche Branchenstandards einführt. So können verschiedene Module leichter miteinander verbunden werden und Elemente wie Fortsetzung von Seite B6 Schallschutz, Brandschutz oder Elektrik wären besser aufeinander abgestimmt.
Zuletzt braucht es eine durchgehende Digitalisierung. Bereits in der Entwurfsphase müssen verschiedenste Faktoren beachtet werden. Von der Sonneneinstrahlung über Belüftung bis hin zum Energieverbrauch und der Ökobilanz. Digitale Gebäudemodelle können in Zukunft als digitale Kommunikationsplattform, Datenbank für Informationen oder zur Dokumentation von Prozessschritten dienen. Das erleichtert nachhaltiges Planen, Bauen und Bewirtschaften von Gebäuden. Auch sind diese Informationen später für den Rückbau und das Recycling relevant.
„Digitale Gebäude-
modelle können in
Zukunft als digitale
Kommunikationsplattform,
Datenbank
für Informationen oder
zur Dokumentation
von Prozessschritten
dienen.“
Immer weiter optimieren
Zusammen mit entsprechender Software, maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz können diese Prozesse immer weiter optimiert werden. Im Idealfall kann dadurch besonders viel Vielfalt im nachhaltigen Bau geschaffen werden. So könnte Software verschiedenste originelle Gebäude entwerfen, die auf der immer gleichen Projektmathematik basieren, den Bauvorschriften entsprechen und besonders nachhaltig sind.